100 Jahre Rundfunk in Argentinien RAE ARGENTINIEN IN DIE WELT

Wie alles anfing

Am 27. August 1920 wurde in Argentinien zum ersten Mal eine Radiosendung im heutigen Sinne ausgestrahlt.

Um die Bedeutung eines solchen Ereignisses besser zu verstehen, besprechen wir zunächst, wie es dazu kam, dass LR2 Radio Argentina, Pionier des argentinischen Rundfunks, überhaupt auf Sendung gehen konnte, und müssen dabei auch einige der Personen erwähnen, die es möglich machten, unter ihnen war Enrique Telémaco Susini. Sein Vater wurde 1906 nach Wien entsandt, um dort das argentinische Konsulat zu leiten. Der Junge Susini, der damals erst 14 Jahre alt war und die Hochschulreife bereits erlangt hatte, lernte am Wiener Konservatorium Geige und Gesang und kehrte 1909 - nach einem kurzen Studium der Physik und der Chemie in Berlin und Paris - nach Buenos Aires zurück, um Medizin zu studieren.

 

 

Im darauffolgenden Jahr, 1910, reiste der italienische Physiknobelpreisträger Guglielmo Marconi nach Argentinien, um an den Feierlichkeiten zum 100. Jubiläum der Mai-Revolution teilzunehmen. Während seines Aufenthalts in Argentinien baute er eine Funkstation in Bernal, einem Vorort von Buenos Aires, auf, von wo aus er sich erfolgreich mit Kanada und Irland verbinden konnte, worüber die Presse natürlich berichtete. Dies trug dazu bei, dass eine Gruppe junger Radiobegeisterter entstand, in der u.a. Susini und befreundete Kommilitonen waren.

Bis 1915 war die Gruppe so groß und bekannt geworden, dass sie sogar in einem Zeitungsartikel erwähnt wurde, in der stand „die Funkamateure bilden eine Art Bruderschaft, über große Entfernungen tauschen sie Nachrichten aus, sprechen miteinander und übertragen sogar kurze Klavier- und Violinkonzerte“.

Susini, sein Neffe Miguel Mujica und seine Freunde César Guerrico und Luis Romero Carranza gehörten zu dieser Gruppe, die bald als los „Locos de la Azotea“ (die Narren vom Dach bzw. der Dachterrasse) bezeichnet wurden, weil sie beinahe akrobatische Manöver machen mussten, um die damals verwendeten Langdrahtantennen auf den Terrassen hoher Gebäude zu platzieren. Zu dieser Zeit erwogen sie die Möglichkeit, das Radio als Mittel zur kulturellen Verbreitung zu nutzen.

Die „Locos de la Azotea“ (v.l.n.r.): Luis Romero Carranza, César Guerrico, Miguel Mujica und Enrique Telémaco Susini

 

Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde die Funkkommunikation zu einer Technologie von großer militärischer Bedeutung, und ihre Entwicklung beschleunigte sich in den folgenden Jahren erheblich, die meisten dieser Entwicklungen wurden aber geheim gehalten.

Inzwischen hatte Susini sein Medizinstudium abgeschlossen, eine Zeit lang als Journalist gearbeitet und fing 1915 an für die argentinische Marine an zu arbeiten, bei der er u.a. den Einfluss elektrischer und akustischer Reize auf den menschlichen Körper erforschte.

Gegen Ende 1918, also nach Kriegsende, wurde er nach Frankreich geschickt, wo er seine Forschungen fortsetzte. Dort erwarb er militärische Funkgeräte aus der Kriegszeit, die er dann mit nach Argentinien brachte.

Gemeinsam mit seinen Freunden begann er an eine Radioübertragung für die Allgemeinheit zu denken, und der einzige Ort, der ihnen dafür zur Verfügung stand, war ein 3 x 4 Meter großer Raum in der obersten Etage des Auktionshauses "Guerrico & Williams". Sie versuchten den Raum gegen Schall zu isolieren, was keineswegs leicht war, und außerdem wurde das Signal durch die Hochspannungsleitungen der Straßenbahn gestört und die Installation der Sendeantenne bereitete ihnen riesengroße Schwierigkeiten, denn der aus mehr als 180 Teilen bestehende Turm fiel 3x zu Boden, bis er schließlich endgültig installiert werden konnte … aber das Ergebnis der ersten Versuchssendungen war alles andere als befriedigend.

Also beschlossen er und seine Freunde, sich auf die Suche nach einem geeigneteren Ort für die Übertragung zu machen. Am 27. August waren sie so weit. Susini und seine Freunde hatten einen 5W-Sender auf dem Dach des Theaters Coliseo installiert, die Antenne wurde mit der Kuppel eines nahe gelegenen Gebäudes verbunden und ein Mikrofon mit einem Grammophonlautsprecher im Reflektorraum angebracht. An dem Abend stand Richard Wagners Oper Parsifal auf dem Programm. Susini nahm das Mikrofon in die Hand und sprach ...

Die Übertragung dauerte etwa drei Stunden und wurde u.a. auch in Santos (Brasilien) von einem Schiffsfunker empfangen. Die Zahl der Zuhörer, die auf etwa fünfzig geschätzt wurde, war sehr begrenzt, da die damaligen Detektorempfänger knapp und schwer zu bedienen waren.

In den darauffolgenden 19 Tagen sendeten sie weiterhin aus dem Theater, hauptsächlich italienische Opern. Als die Spielzeit im Teatro Coliseo zu Ende war, begannen sie mit eigenen Produktionen, so sang z.B. Susini selbst Lieder auf Spanisch, Französisch, Deutsch, Italienisch und Russisch.

Susini war damals 25, Arzt, Mujica 18, Guerrico und Romero Carranza: 22. Sie studierten an der Uni Buenos Aires

Diese war die erste Sendung künstlerischen Charakters weltweit, die erste Übertragung eines vollständigen Werkes, die erste Sendung dieser Art, die regelmäßig stattfand.
Am 12. Oktober 1922 übertrug Radio Argentina die Amtseinführung des Präsidenten Marcelo Torcuato de Alvear live. Es war das erste Mal, dass die Stimme eines Staatsoberhaupts über Rundfunk zu hören war.

Am Ende desselben Jahres entstanden drei weitere Stationen: Radio Cultura, Radio Sudamérica und Radio Brusa.
Radio Cultura war der erste kommerzielle Radiosender Argentiniens, in dem es Werbung gab.

Radio Argentina war ferner auch die erste Radiostation, die eine Nachrichtensendung ausstrahlte und ein Team von Ansagern bildete. Im Laufe der Zeit fing die Station auch an, Rundfunkreklamen auszustrahlen, von denen viele aus Zeitungen gelesen wurden.

Der Import und die Herstellung von Empfangsgeräten erlebten einen Boom. Schon damals hatte man mit der Herstellung der berühmten Empfänger „Radiotone“ begonnen, die sogar in andere lateinamerikanische Länder exportiert wurden, als sich der Rundfunk auf dem ganzen Kontinent verbreitete.

Aber, gehen wir doch ein bisschen zurück: schon am Morgen des 28. August 1920 standen in einigen wichtigen Geschäften der Stadt die Empfänger "Radiole" aus Europa, die zu 280 Pesos angeboten wurden und deshalb schwer zu verkaufen waren, so dass der Preis innerhalb einer Woche auf 200 Pesos gesenkt werden musste. Die Konkurrenz stellte also der argentinische Empfänger ''Radiotone'', der 110 Pesos kostete und in 11 Raten zu 11 Pesos ohne Vorauszahlung gekauft werden konnte. In der Zwischenzeit war der Detektorempfänger von den Röhrenempfängern fast vollkommen verdrängt worden.

Radio Argentina, das bis Ende 1997 bestand, war die erste Radiostation in Argentinien die regelmäßig auf Sendung war und die erste spanischsprachige weltweit.

Ende der 20er Jahre wurden die ersten Hörspiele ausgestrahlt.


http://coleccionesteatrales.blogspot.com/2015/11/radioteatro-breve-resena.html

Die zunehmende Anzahl von Sendern führte zu den ersten Frequenzkonflikten, so dass auch Ende der 20er Jahren die ersten Vorschriften über Rundfunkfrequenzen zustande kamen.

1923 weihte der Ingenieur Aldo Grazziani die erste Kurzwellenanlage in Lateinamerika ein, und im Mai 1924 stellte er eine Verbindung zu einem Radiosender in Australien her, dessen Techniker aus Uruguay war, Romero Carranza, Guerrico und Susini von Radio Argentina führten ein langes Interview mit ihm, das in erstaunlich guter Qualität zu hören war.

Drei argentinische Ingenieure weihten 1923 die erste brasilianische Station ein, die 1 kW Sendeleistung hatte.

Die erste Funkverbindung zwischen Argentinien und Europa wurde am 2. Februar 1923 von Radio Cultura hergestellt. 1921 war so eine Verbindung zwischen Argentinien und den USA sowie mit anderen Ländern des Kontinents hergestellt worden, die aber ziemlich mangelhaft gewesen war.

Im Oktober 1924 wurde zum 1. Mal ein Fußballspiel gesendet. Es spielten die Mannschaften Uruguays und Argentiniens, diese gewann mit 2-1.

1930 fand durch Zufall die erste Aufzeichnung eines Telefongesprächs statt, wo ein Hörer um die Ausstrahlung eines bestimmten Musikstücks bat. Eingesetzt wurde ein Recorder der Marke Telefunken-aus dem Jahr 1928

Zwischen 1923 und 1943 war Buenos Aires mit damals 25 Sendern die Stadt mit den meisten Radiostationen der Welt.

Argentinien besaß die größte Empfängerfabrik in Lateinamerika. Sie entstand aus der Fusion von Radiotone mit anderen argentinischen Kapitalien und hieß "Ethersone", ihr Motto lautete: "[er ist] besser als die Importierten".


Die Empfänger von Ethersone wurden von 1935 bis 1949 hergestellt und auch nach ganz Lateinamerika exportiert.

Im März 1934 ließ Radio Splendid den Sänger Carlos Gardel aus den New Yorker Studios von NBC singen, während seine Gitarristen Aguilar, Riveroli und Barbieri ihn aus den Studios in Ayacucho 1556 begleiteten. (Foto: https://lagalenadelsur.wordpress.com/2018/06/25/gardel-en-la-radio/)

Das Gebäude in der Straße Ayacucho 1556, das damals Radio Splendid und später Radio Nacional - bis Ende der 1980er Jahre - gehörte.

Ende 1989 zog Radio Nacional in das Gebäude in der Maipú 555, von dem u.a. Radio El Mundo gesendet hatte. https://www.modernabuenosaires.org/obras/20s-a-70s/radio-nacional-ex-radio-el-mundo)

Seit 1983 feiern argentinische DXer am 27. August ihren Tag, um den argentinischen Rundfunk und seine Schöpfer zu ehren. Dies wurde während der ersten argentinischen DXer-Konferenz 1983 in der Stadt Lamadrid, Provinz Buenos Aires, Argentinien, einstimmig beschlossen.
Teile dieses Beitrags entnahm ich aus einem Text von unserem ehemaligen DX-Redakteur, Gabriel Iván Barrera, weitere Infos und die Bilder sind aus verschiedenen Seiten und Blogs.

Enrique Telémaco Susini, 1929

 

Produktion und Moderation: Rayén Braun
Webseite: Julián Cortez